Piercing Schmuck

von Robert Fischer

Piercing ist eine radikale Form des Schmückens, keineswegs aber eine Erfindung der Moderne. Der Begriff "Piercing" ist allerdings nicht so alt. Er leitet sich vom englischen "to pierce" für "durchstechen" beziehungsweise "durchbohren" ab. Das Schmücken ist ein Bestandteil der menschlichen Natur und so wundert es auch wenig, dass schon in der Steinzeit Körperpartien zum Zwecke des Schmückens durchstochen wurden. Ötzi, wie die weit über 5.000 Jahre alte Gletschermumie aus der Jungsteinzeit liebevoll genannt wird, ist mit gedehnten Ohrlöchern ein Beweis für frühes Piercing. Andere Belege verweisen auf eine noch ältere, bis 7.000 Jahre alte Tradition. Das moderne Piercing haben sich anfänglich die urbanen Subkulturen von den Ureinwohnern Asiens, Ozeaniens, Afrikas und Amerikas abgeschaut.

Piercing Schmuck

Piercing als Initiationsritual und Identitätssymbol

In den meisten Ethnien außerhalb Europas wurde schon seit tausenden von Jahren Piercings gestochen. Meist geschah dies im Rahmen von Initiationsriten oder zur Abgrenzung von benachbarten Stämmen. Die bevorzugten Körperregionen für das Piercing waren von jeher die Ohren, die Nase und die Lippen. Dabei kam es mitunter zu recht extremen Ausprägungen, wenn man beispielsweise an die bis heute praktizierten Lippenteller und Lippenpflöcke sowie extrem gedehnte Ohrläppchen zum Einbringen von Schmuck bei afrikanischen sowie mittel- und südamerikanischen Stämmen denkt. Als Schmuck wurde bei diesen Völkern bevorzugt Holz, Horn und Knochen verwendet. Auch Perlmutt, Federn und pflanzliche Materialien kamen beim traditionellen Piercing zu Einsatz.

Schönheitsideal auch bei so manchen Hochkulturen

Die altägyptischen Pharaonen, deren Kunst und ästhetisches Gespür uns auch heute noch faszinieren, weiteten ihre Ohrlöcher für ein Piercing. Zu sehen ist das an zahlreichen Portraits und auch an der berühmten Totenmaske des Tutanchamun, die 1922 im Tal der Könige entdeckt wurde. Mittelamerikanische Hochkulturen wie die Azteken hatten gedehnte Ohrlöcher und trugen das Septum-Piercing, für das der Nasenscheidewandknorpel durchstochen wurde. Auch Buddha-Statuen haben lange, gedehnte Ohrläppchen für entsprechenden Schmuck. Das Piercing ist also ein welt- und kulturübergreifendes Phänomen. Identitätsstiftend ist Piercing vielleicht gerade deshalb, weil es eine gewisse Radikalität gleich einem Bekenntnis erfordert.

Das Piercing als spirituelle Erfahrung von Schmerz

Extremes Piercing gilt heute in der sogenannten westlichen Gesellschaft immer noch als Abgrenzung vom Bürgerlichen und als Demonstration, für diese Abgrenzung auch Schmerz in Kauf zu nehmen. In Kulturen Asiens und Amerikas wurde und wird das Piercing nicht selten als Grenzerfahrung im Rahmen spiritueller Rituale zelebriert. In Malaysia und Thailand gibt es bis heute die Tradition, dass sich Männer im Rahmen von Prozessionen Schwerter, Stangen, Haken und Holzspieße mit teilweise großen Durchmessern durch den Rücken, die Wangen oder auch die Zunge stechen lassen. Diese für uns so brutal anmutende Zeremonie wird zum Zwecke der Katharsis und als Opfergabe an die Götter durchgeführt. Die Teilnehmer versetzen sich für dieses Extrem-Piercing in einen Trancezustand.

Piercing etabliert sich in der westlichen Kultur

Ähnlich wie Tätowierungen etablierte sich auch die Piercings über verschiedene Subkulturen nach und nach in der westlichen Kultur. In den 1960er Jahren trugen die Blumenkinder der Hippie-Bewegung so manches Piercing in Nase und Ohren. Die Inspiration für die Flower-Power-Bewegung kam wohl vor allem aus Indien, wo ungewöhnliches Nasen- und Ohren-Piercing von je her fest in der Kultur des Schmückens verankert war. Ein weiterer Trendsetter für das Piercing war die Fetischszene in den USA und Großbritannien. In den 1980er Jahren verbreitete sich das Piercing auch über die kalifornische Bewegung der "Modern Primitives". Die Punk-Bewegung und die Musikszene verhalfen dem Piercing schließlich zu einem endgültigen Durchbruch in der Kultur des Westens. Nicht zuletzt waren es Stars wie Lenny Kravitz und Dennis Rodman, die das Piercing salonfähig machten.

Ein so beliebter wie verbreiteter Schmuck

Piercings sind inzwischen beinahe so normal wie jede andere Form des Schmückens auch. Bei jüngeren Menschen liegt der Anteil am Piercing inzwischen bei über 20 Prozent. Dabei sind einige neue Formen für Piercing hinzugekommen. Das Bauchnabel-, Brustwarzen- und Zungen-Piercing sind dabei noch die am wenigsten spektakulären Piercing-Formen. Die Formen und Materialien des Piercing-Schmucks sind vom Material her sehr vielfältig und stilistisch breit gefächert. Es gibt zarten und femininen Piercing-Schmuck und natürlich auch rebellischen und auffällig großen, für den der Träger einiges auf sich nehmen muss, um sich damit zu schmücken. Für das Stechen gibt es inzwischen recht sichere Methoden, wenngleich hygienische Standards und Vorsichtsmaßnahmen nach wie vor vonnöten sind, um Entzündungen und Schlimmeres zu vermeiden.

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